DVGW energie | wasser-praxis, Ausgabe 6+7/2022

www.energie-wasser-praxis.de energie | wasser-praxis e Klima | Wandel Wasserversorger setzen auf klimaneutralen Betrieb Netz | Auskunft DVGW-Merkblatt GW 115 setzt Standards zum Datenaustausch H ² | Verträglichkeit Interaktion von Wassersto mit Gasmotoren 73. Jahrgang | Juni/Juli 2022 | ISSN 1436-6134 Grüner Stahl Emissionsarme Produktion mit grünem Wasserstoff 6+7 Wasser im Gleichgewicht GF Piping Systems www.gfps.com Georg Fischer GmbH | 73095 Albershausen

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Sie wollen die Energiewende aktiv mitgestalten und nachhaltig zum Klimaschutz beitragen? Dann ist Uniper Ihr starker Partner auf dem Weg in eine grüne Energiezukunft. Sprechen Sie mit unseren Expert*innen auf der E-world vom 21. bis 23. Juni und informieren Sie sich unter anderem zu den Themen Dekarbonisierung und Digitalisierung. Denn mit Uniper können Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck deutlich reduzieren und erneuerbare Energien für ein grüneres und klimaschonenderes Energieportfolio beziehen. Neben einer klassischen Versorgung mit grüner Energie bietet Uniper mit der Decarb-Roadmap eine individuelle wie strategische Planung sowie die anschließende praktische Umsetzung von Maßnahmen auf Ihrem Weg zur Klimaneutralität an. Parallel setzt Uniper auf das Thema Digitalisierung als integralen Bestandteil der Energiewende. So erhalten Kunden mit Uniper Digital, einem modular aufgebauten Energieportal, einen direkten Marktzugang und können mit nur wenigen Klicks Energiemengen handeln und ihre Verträge online bewirtschaften. Informieren Sie sich schon jetzt über unsere Lösungen für Ihre Dekarbonisierung. decarbsolutions.uniper.energy Kurs auf Grün #ForACleanTomorrow Besuchen Sie uns auf der E-world! Halle3 Stand 150

Klimawandel –Corona –Ukraine: Gefühlt kommenwir aus dem Krisenmodus nicht mehr heraus. Dabei wird deutlich, wie wichtig eine sichere Trinkwasserversorgung für die Bevölkerung und für das Funktionieren der Wirtschaft ist. Als Unternehmen der Daseinsvorsorge haben wir schon immer mögliche Engpässe und Ausfälle im Blick, für die wir Redundanzen und Reserven, Notfallpläne und Sicherheitssysteme vorgehalten haben. Es ist sehr beruhigend, dass es bislang zu keinen ernsthaftenVersorgungsausfällen kamund trotz Pandemie, Cyberattacken und Dürrejahren die Trinkwasserversorgung als Eckpfeiler der Versorgung der Bevölkerung gelten kann. Doch darauf können wir uns nicht ausruhen. Vor allemdieGleichzeitigkeit der Krisenhat einneuesNiveau erreicht undwirmüssen uns imKlaren darüber sein, dass die Herausforderungen nicht abnehmen werden. Obwohl der Klimawandel aufgrund der aktuellen Ereignisse in weiten Teilen der Bevölkerung derzeit wenig Aufmerksamkeit genießt, wird er unsWasserwirtschaftlerinnen und -wirtschaftler langfristig am meisten betreffen. Steigende Temperaturen werden den Wasserkreislauf nachhaltig verändern und selbst bei gleichbleibenden Niederschlägen zu höheren Verdunstungsratenund längerenVegetationsperioden führen, was die Grundwasserneubildung negativ beeinflusst. Dabei können die Modelle für den Nordosten Deutschlands noch nicht einmal außergewöhnlicheDürrephasen, wiewir sie z. B. in den Jahren zwischen 2018 und 2021 erlebten, abbilden. Selbst wenn die Grundwasserneubildung imMittel nicht zurückgeht, so wächst doch der Bedarf an Garten- und Ackerbewässerung und trägt somit regional zu einer negativen Wasserbilanz bei. Weiterhinmüssen wir uns imKlaren darüber sein, dass sich die Stromversorgung, die für den sicheren Betrieb unserer AnlagenvonelementarerWichtigkeit ist, indenkommenden Jahreneiner nie dagewesenenVeränderungunterziehenwird. Der Umbau zu regenerativen Energien stellt die Stromnetze vor extremeHerausforderungen und dieWahrscheinlichkeit von Ausfällen nimmt zu. Vor allem durch die fortschreitende Digitalisierung müssen wir uns immer aufs Neue fragen, ob alle unsere betriebsnotwendigen Systeme ausreichend durch die Notstromversorgung abgesichert sind. AußerdemmüssenwirweiterhinAnstrengungenunternehmen, um den Umbau zu einer klimaneutralen Gesellschaft voranzutreiben. Neben Energie- und Rohstoffeinsparungen stellt sich die Frage, ob durch intelligente Bewirtschaftung Stromverbrauchsspitzen vermieden werden können, um so die Stromabnahme den Schwankungen in der Stromeinspeisung anzupassen. Weitere Herausforderungen sind u. a. die wachsendeGefährdungderCybersicherheit, der Fachkräftemangel und Lieferkettenprobleme, die – wie wir imMoment sehen – nicht nacheinander, sondern gleichzeitig zu bewältigen sind. Doch mit diesem düsteren Ausblick möchte ich es nicht bewenden lassen. Denn wir haben in den letzten zwei Jahren gesehen, dass Veränderungen imVerhalten und die Entwicklung technischer Lösungen im Krisenfall eine ungeahnte Beschleunigung erfahren. Wer hätte gedacht, dass Videokonferenzen innerhalb von wenigen Wochen zum Standardarbeitsmittel in unserem Betriebsalltag werden? Und dass digitale Lösungenes uns ermöglichen, koordiniert, aber dezentral hervorragend zu funktionieren? Gerade die Wasserversorgungsunternehmen haben das Potenzial in Form von Knowhow und analytischemDenken, kreative Lösungen zu entwickeln und dabei die Sicherheit nicht außer Acht zu lassen. Besonders gefragt sind dabei unsere Fähigkeiten, über den Tellerrand zu schauenundmit sektorübergreifendemDenken nachdemgesamtgesellschaftlichenOptimumzu suchen. Der Schlüssel dazu ist, dass wir frühzeitig die Chancen erkennen und diese im Sinne einer zukunftsfähigen und resilienten Daseinsvorsorge rasch indieUmsetzung bringen.Mit jungem und erfahrenem Fachpersonal an unserer Seite bin ich mir sicher, dass wir die vielfältigen Herausforderungen auch zukünftig meistern werden. Jens Feddern ist Leiter Wasserversorgung bei den Berliner Wasserbetrieben. Jens Feddern Die Wasserversorgung als elementarer Teil der Daseinsvorsorge – welche Herausforderungen sind damit verbunden? 3 energie | wasser-praxis 6/7 2022 E D I T O R I A L

I N H A L T Grüner Stahl mithilfe von Wasserstoff Ab Seite 38 34 28 38 86 Titel Quelle: Markus Dehlzeit/AdobeStock.com 28 HAMBURG WASSER auf dem Weg zur Klimaneutralität 34 Zum Einfluss der Mikrobiologie bei der unterirdischen Speicherung von Wasserstoff 38 Strategien für eine emissionsarme und wasserstoffbasierte Stahlproduktion 86 Ich mach was mit … 3 | EDITORIAL 6 | NACHRICHTEN INTERVIEW 14 | „Unsere Studie benennt erstmals ein länderübergrei- fendes Wasserstoff-Infrastrukturkonzept für die Region Mitteldeutschland!“ • Die Redaktion der DVGW energie | wasser-praxis im Gespräch mit Jörn-Heinrich Tobaben, Geschäftsführer der Europäischen Metropolregion Mitteldeutschland und Vorstandsmitglied des Wasserstoffnetzwerks HYPOS TECHNIK 18 | Digitaler Prozess zur Netzauskunft – das DVGW-Merkblatt GW 115 setzt erstmals Standards zum Datenaustausch • Markus Lermen, Martin Radtke, Mike Schöffel ORGANISATION & MANAGEMENT 23 | Der Ruhrverband auf dem Weg zur ausgeglichenen Klimabilanz • Prof. Dr.-Ing. Norbert Jardin, Dr.-Ing. Dieter Thöle, Dr.-Ing. Max Weißbach 28 | HAMBURG WASSER auf dem Weg zum Null-EmissionsBetrieb • Ingo Hannemann 34 | Die unterirdische Speicherung von Wasserstoff: Einfluss der Mikrobiologie • Thomas Wencker FORSCHUNG & ENTWICKLUNG 38 | HySteel-Metastudie des DWV: Grüner Wasserstoff ist essenziell für emissionarme Stahlerzeugung • Clemens Orlishausen 46 | Kompensationsstrategien für den Einsatz von Erdgas-­ Wasserstoff-Gemischen in Endverbrauchstechnologien: Ergebnisse des DVGW-Forschungsprojekts „Roadmap Gas 2050“ • Dr.-Ing. Jörg Leicher, Dr.-Ing. Frank Burmeister, Dr.-Ing. Anne Giese, Dr.-Ing. Rolf Albus, Philip Pietsch, Dr. Holger Dörr 4 energie | wasser-praxis 6/7 2022

56 | H ² im Gasnetz und die Interaktion mit Gasmotoren • Maximilian Heneka, Wolfgang Köppel, Ruth Schlautmann, Dr. Frank Graf, Jonas Sperlich, Carla Rau, Jens Hüttenrauch, Udo Lubenau, Maik Hoffmann, Henning Sökeland, Dr. David Bothe, Lukas Heinz, Georg Blesinger, Abhiram Chavali 70 | Innovationspreis Gas 2022: Stets die Zukunft im Blick • Thomas Wencker TECHNISCHE REGELN & NORMEN 74 | Ankündigung zur Fortschreibung des DVGW-Regelwerks 74 | Fortschreibung des DVGW-Regelwerks DVGW AKTUELL 76 | Mit fachlichen und personellen Informationen und Nachrichten aus der Vereinsarbeit sowie Terminen und Veranstaltungen VERANSTALTUNGEN 84 | DVGW-Veranstaltungsvorschau für Juni und Juli 2022 ARBEITS | welten 86 | Ich mach was mit Trinkwasser BILDUNGS | welten 88 | Rückblick auf das 9. Kolloquium der Bildungsgremien – Teil 2 91 | PRAXIS & PRODUKTE SERVICE 93 | Grüne Gase 93 | Rohrleitungsbauunternehmen 94 | Bezugsquellen 98 | Impressum Beilagenhinweis: Dieser Ausgabe liegen Beilagen der Diehl Metering GmbH und der EW Medien und Kongresse GmbH bei. 5 energie | wasser-praxis 6/7 2022 • Einfache Montage mit Click-Leisten • Dauerhaft dichte Schweißnähte (Prüfung mittels integrierter Indikatorstreifen) • Widerstandsfähiger PE-Werkstoff ohne Weichmacher • Wartungsarmer Betrieb für viele Jahrzehnte HYDROCLICK Sanierung von Trinkwasserbehältern Wir beraten Sie gerne info@frank-gmbh.de T. +49 6105 4085-0 www.frank-gmbh.de www. agru . at @ a g r u w o r l d

VERANSTALTUNGSTIPPS! 14.–15. Juni 2022, Hamburg EGATEC 2022 – The 5th European Gas Technology Conference Die 5. Europäische Gastechnologiekonferenz bringt hochrangige Vertreterinnen und Vertreter der europäischen Gasindustrie zusammen. Sie bietet eine Plattform zum Wissens- und Erfahrungsaustausch über aktuelle Herausforderungen und Chancen der Energiewende und Dekarbonisierung. Die gesamte Veranstaltung findet in englischer Sprache statt. www.egatec-conference.com 18.–19. Oktober 2022, Berlin 26. September–13. November 2022, online gat | wat 2022 In diesem Jahr findet die gat | wat turnusmäßig als Kongress in Berlin statt. Im Rahmen des an aktuelle Entwicklungen angelehnten, umfangreichen Programms werden über 100 Referentinnen und Referenten die Herausforderungen der Energie- undWasserbranche diskutieren. Ergänzt wird die Veranstaltung durch Livestreams und zusätzliche Online-Fachforen mit Echtzeit-Interaktion. www.gat-wat.de 22. November 2022, online Prüfung von Energieanlagen auf Explosionssicherheit gem. BetrSichV NachderBetriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), §§ 15, 16 undAnhang 2, Abschnitt 3,Nrn. 4.1und5.1, sindAnlagen in explosionsgefährdeten Bereichen vor der erstmaligen Inbetriebnahme, nach prüfpflichtigenÄnderungenundwiederkehrendmindestens alle sechs Jahre auf Explosionssicherheit zu prüfen. Diese Veranstaltung vermittelt kompakt die AnforderungenandiePrüfungvonEnergieanlagen der Gasversorgung. www.dvgw-kongress.de/explosionsschutz STANDPUNKT » Rückbau bedeutet Rückschritt! – Ohne Gasnetzinfrastruktur und erneuerbare Gase ist die Wärmewende zum Scheitern verurteilt « Ein Kommentar des DVGW-Präsidenten Michael Riechel Der fürchterliche Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen auf die Energieversorgung in Deutschland sindeindramatischerWeckruf für eine beschleunigte Energiewende. Deren Ziel, die Klimaneutralität bis 2045, impliziert zweierlei: die klimafreundliche Versorgungmit erneuerbarenEnergien und die Diversifizierung der Bezugsquellen, die Deutschland unabhängiger von krisenanfälligen Monostrukturenmacht. Turbo-Entscheidungen, Top-downVorgaben und Technologieverbote seitens der Politik als Reaktion auf die aktuell angespannte geo- und energiepolitische Lage mögen symbolischen Wert haben, hilfreich zur Lösung der anstehenden Aufgaben sind sie jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Wenn etwa ein Staatssekretär aus demBundeswirtschaftsministerium die Stadtwerke dazu aufruft, mit dem Rückbau ihrer Gasnetze zu beginnen, dann ist dieser Vorstoß schlicht grob fahrlässig. Das würdenämlichnicht nur eineVernichtung kommunalen Vermögens nach sich ziehen, sondern auch die notwenige Wärmewende unmöglich, mindestens jedoch unnötig teuer und trägemachen. Ausmeiner Sichtmuss der Appell genauumgekehrt lauten. Schon aus Gründen der VersorgungssicherQuelle: Thüga AG energie | wasser-praxis 6/7 2022 N A C H R I C H T E N 6

Eine wohldosierte Mischung aus Kontinuität und Wandel ist bekanntlich eine gute Grundlage für eine dauerhaft tragfähige Zukunftsagenda. Dieser Erkenntnis folgt auch die Veränderung an der Spitze des Rohrleitungsbauverbandes e. V. (rbv), dem seit dem 6. Mai 2022 Dr. Ralph Donath als Präsident vorsteht. Während der Mitgliederversammlung im Rahmen der Jahrestagung des Verbandes in Düsseldorf verabschiedete sich nach sechs erfolgreichen Jahren im Amt rbv-Präsident Fritz Eckard Lang, der in Düsseldorf nicht zur Wiederwahl antrat, mit Standing Ovations von den in der NRW-Landeshauptstadt anwesendenMitgliedern. SeinNachfolger Dr. RalphDonath gehört demVorstand des rbv bereits seit 2011 als Vorsitzender der rbv-Landesgruppe NordrheinWestfalen und seit 2021 als Vizepräsident an. Seinen bisherigen Platz als Vizepräsident übernimmt der Vorsitzende der Landesgruppe Niedersachsen, Hartmut Wegener. Als Vizepräsident in seinem Amt bestätigt wurde ebenfalls einstimmig Andreas Burger. W Donath neuer Präsident des Rohrleitungsbauverbandes Quelle: rbv heit, aber auchumdie Klimaschutzziele zügig und bezahlbar zu erreichen, sollten jetzt alle Technologieoptionen genutzt werden, die hierauf einzahlen. Eine sichere Energieversorgung muss weiterhinauf dieSäulenStromundGas gestützt sein. Wir sollten also nicht über einen Gas-Ausstieg debattieren, sondern über einen Gas-Umstieg, der die Weichen hin zu einer klimaneutralen und sicheren Gasversorgung stellt. Dafür ist neben dem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien auch der Ausbau von erneuerbaren Gasen wie Wasserstoff und Biomethan dringend nötig. ZumHintergrund:Mit rund1.300Terawattstunden macht der Wärmemarkt rund die Hälfte des Endenergieverbrauchs in Deutschland aus. Rund jeder zweite Haushalt heizt mit Gas, das sind 19 Millionen Anschlüsse. Dazu wird die überwiegende Mehrheit des deutschenMittelstands, der Industrie und des Gewerbes über die VerteilnetzemitGas versorgt.Dementsprechend groß ist die Hebelwirkung von dekarbonisierten Gasnetzen für die angestrebte CO2-Neutralität. Hier liegt aus meiner Sicht der Schlüssel für die Wärmewende – und deren Umsetzung quasi auf dem Servierteller. Es gilt also unbedingt, die vorhandeneGas-Infrastruktur zunutzenund mit der zunehmenden Einspeisung von klimaneutralen Gasen wie Wasserstoff und Biomethan die Wärmewende einzuleiten. So kann der CO2Ausstoß schnell, ohne größere Investitionen und damit sozialverträglich gesenkt werden. Und halten wir fest: Allein durch zusätzliche Elektrifizierung ist derWärmesektor nicht klimaneutral zu stellen, da das Stromnetz nicht für den Transport von großen Heizstrommengen ausgelegt ist. Der geplante Zubau von fünf Millionen elektrischenWärmepumpen bis 2030 würde zu einer Überlastung des Stromsystems führen, wie die Studie „Wasserstoff zur Dekarbonisierung des Wärmesektors“ von Frontier Economics 2021 imAuftrag des DVGWzeigt. Die Energieversorgung in Deutschland schultern zumgroßen Teil Stadtwerke und Regionalversorger und damit kommunale Unternehmen. Dementsprechend kann die Energiewende nur mit ihnen gelingen. Hier laufen Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten, Innovationskraft undUmsetzungskompetenz zusammen. Topdown-Vorgaben und Technologieverbote für das Energiesystem gehen an der Realität vorbei undwerden an den tatsächlichen Umsetzungsmöglichkeiten vor Ort indenKommunenund bei den Bürger:innen scheitern. Deshalb muss die Politik eine dezentral getriebene Energiewende stärker fördern und eine erfolgreiche Wärmewende mit klimaneutralen Gasen – ohne ideologische Scheuklappen – ermöglichen. Eine dezentrale Energiewende bedeutet vorrangig, sich um die zukunftsfähige Weiterentwicklung der kommunalen Infrastruktur zu kümmern. Es ist tragisch, dass der klimapolitisch notwendige Umbau des Energiesystems durch einen katastrophalen Krieg Rückenwind bekommt. Insofern gilt es heute mehr denn je, die Zeichen der Zeit zu sehen und die Energiewende im Sinne der Klimawende und der Versorgungssicherheit technologieoffen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln umzusetzen. W energie | wasser-praxis 6/7 2022 7

Parlamentarischer Abend des DVGW in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt Einsatz von Wasserstoff garantiert eine sozialverträgliche und klimafreundliche Wärmewende DieVersorgungssicherheit mitWärme imGebäudesektor lässt sich in Zukunft nur dann sicherstellen, wenn auch konsequent auf den Einsatz von klimaneutralen Gasen wie Wasserstoff in Kombination mit effizienten Technologien gesetzt wird. Dies war die Hauptbotschaft eines ParlamentarischenAbends, den der DVGW am 29. April 2022 gemeinsammit der Avacon AG in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Berlin veranstaltet hat. „Entscheidend für die erfolgreiche Nutzung von Wasserstoff imzukünftigenEnergiesystemDeutschlands ist der Dreiklang Mengenverfügbarkeit, technische Voraussetzungen und Infrastruktur sowie die Technologieoffenheit der politischen Entscheider“, sagte Prof. Dr. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW, im Rahmen seiner Einführungsrede. Wasserstoff werde entgegen häufig verbreiteter Annahmen inausreichenderMenge zur Verfügung stehen. Die vorhandene Infrastruktur ermögliche unmittelbar die EinspeisungklimafreundlicherGaseund schaffe imZusammenspielmitH2-readyGastechnologienbesteVoraussetzungen fürVerwendung, Transport undSpeicherung. „Es darf nicht bei politischen Absichtserklärungen bleiben, die Energieversorgung zudiversifizieren. Es kommt darauf an, das System auf allen Ebenen unter Berücksichtigung der fortschreitenden Elektrifizierung zu entlasten.“ Dass Wasserstoff bereits erfolgreich in der bestehenden Infrastruktur Verwendung finden kann, belegt ein Gemeinschaftsprojekt von DVGWund Avacon inSachsen-Anhalt. Angela Brandes, Projektleiterin H2-20 der Avacon Netz GmbH, informierte die rund 150 anwesenden und online zugeschalteten Teilnehmenden des Parlamentarischen Abends über den aktuellen Stand: „In den vergangenen Monaten haben wir schrittweise den Wasserstoffanteil in unserem Gasnetz im Jerichower Land erhöht und bereits erfolgreich 20 Volumenprozent Wasserstoff beigemischt. Dies hat störungsfrei funktioniert. Damit haben wir den Nachweis erbracht, dass dieser Netzabschnitt bis 20 Volumenprozent H2-ready ist.“ Das Projekt habe gezeigt, dass es technischmöglich sei, Wasserstoff zu einem deutlich höheren Prozentsatz als bislang in den technischen Regeln des DVGW vorgesehen in ein existierendes Gasnetz einzuspeisen. Die Ergebnisse dienten als Vorbild für den zukünftigenEinsatz von Wasserstoff inGasverteilnetzen. „Mitder Aufnahme erneuerbarer und klimaneutraler Gase ins Gasnetz können wir einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten“, so die Projektleiterin. An dem Projekt in der Region Fläming nehmen rund 340 Haushalte teil. Mit knapp über 350 Gasgeräten, die vor allem zur Wärmeversorgung dienen, deckt das ausgewählte Netzgebiet eine breite Gerätetechnik ab. Vor dem Start der Wasserstoff-Beimischung wurden unter Koordination der DVGW-Forschungsstelle aus Karlsruhe in Zusammenarbeit mit dem Gas- und WärmeInstitut Essen (GWI) und den Gasgeräteherstellern alle bei den Kunden verbautenGasgeräte erfasst und sowohl betriebs- und sicherheitstechnisch als auch auf Wasserstoffverträglichkeit überprüft. Insgesamt wurden die bislang erhobenen Gasinstallationenmit den Gasgeräten zu 100 Prozent positiv bewertet. Bei den Einspeisungen seit November 2021 mit 10, 15 und 20 Prozent Wasserstoff wurde mit über 250 Stichprobenmessungen im Rahmender wissenschaftlichenBegleitung die positive Bewertung bestätigt. W Quelle: DVGW Quelle: DVGW Prof. Dr. Gerald Linke: „Wasserstoff wird in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.“ Angela Brandes, Projektleiterin H2-20 der Avacon Netz GmbH, stellte das H ² -Pilotprojekt in Schopsdorf vor. energie | wasser-praxis 6/7 2022 8 N A C H R I C H T E N

9 energie | wasser-praxis 6/7 2022 Jetzt registrieren www.dvgw.de l Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. Ihre Vorteile – jederzeit online: l Mitgliedschaft: Angaben zu Ihrer Mitgliedschaft einsehen und ändern l Profildaten: Änderung schnell und einfach jederzeit selbst vornehmen l Veranstaltungen: Ihre Buchungen im Überblick finden l Informationen: nur erhalten, was Sie auch interessiert l Newsletter: Ihre Abonnements einfach selbst verwalten ... und vieles mehr Besuchen Sie auch die neue Veranstaltungs-Website der DVGW Beruflichen Bildung! www.dvgw-veranstaltungen.de https://servicecenter.dvgw.de Jetzt registrieren! Ihr DVGW-Servicecenter: Jederzeit. Online. Erreichbar. Wir haben unseren Service verbessert und auf eine moderne, digitale Kunden- und Mitgliederkommunikation umgestellt.

ZAHL DES MONATS …Wasserstoff können bis 2030 über den Hafen im niederländischen Rotterdam nach Nordwesteuropa gelangen. Das wäre eine wesentlich größere Menge als jene, die bisher kommuniziert wurde. Umgesetzt werden sollen die ambitionierten Ziele über konkrete Projekte, mit denen Unternehmen und exportierende Länder derzeit beschäftigt sind, heißt es in einer Mitteilung des Hafenbetriebs Rotterdam, die neben dem Rotterdamer Hafen rund 70 Unternehmen der Branche unterzeichnet haben. Zu den Vorhaben zählen nicht nur Pläne für die lokale Erzeugung von Wasserstoff, sondern auch Importe aus der ganzen Welt. „Die Nutzung nachhaltigen Wasserstoffs trägt substanziell zu den europäischen Zielen zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Steigerung der Unabhängigkeit Europas im Energiebereich bei“, sagt Allard Castelein, Geschäftsführer des Hafenbetriebs Rotterdam. Hierfür brauche es laut der unterzeichnenden Unternehmen, zu denen u. a. auch Eon, RWE, Uniper, Steag und Shell gehören, aber zwei Rahmenbedingungen: erstens die Zertifizierung von Wasserstoff und zweitens das Schließen der finanziellen Lücke zwischen grauer und grüner Energie. W Verbraucher-App: „Trinkwasser Unterwegs“ Quelle: BDEW Mindestens 4,6 Mio. Tonnen … Das EU-Parlament fordert in der novellierten Trinkwasserrichtlinie, den Zugang zu Trinkwasser imöffentlichen Raumzu verbessern. InDeutschland ist das Angebot mit über 600 öffentlichen Trinkwasserbrunnen schon jetzt groß. Die BDEW-App „Trinkwasser unterwegs“ weist Verbraucherinnen und Verbrauchern nun denWeg zum nächstgelegenen Trinkwasserbrunnen, an demman sich kostenlos erfrischen und seine Flasche mit Trinkwasser befüllen kann. Eine Karte zeigt dabei den Standort der registrierten Trinkbrunnen. DurstigeMenschen können den von ihrem aktuellen Standort aus gesehen nächstgelegenen Brunnen oder gezielt nach Trinkwasserbrunnen in bestimmten Orten und Regionen suchen. Darüber hinaus erhält die App Informationen zumBetreiber, zu den Öffnungszeiten und manchmal auch zur Geschichte eines Brunnens. Für Wasserversorger bietet die App den Vorteil, ihr Engagement rund ums Trinkwasser bekannter zumachen und das Bewusstsein für die hohe Qualität ihres Trinkwassers zu schärfen. Interessierte Wasserversorger können ihre öffentlichen Trinkwasserbrunnen kostenlos für den mobilen Internet-Service anmelden. Ziel ist es, möglichst viele Brunnen deutschlandweit in die App einzubinden. W Ansprechpartnerin: Tamara Lange Tel.: 0228 9191-413 E-Mail: lange@wvgw.de 10 energie | wasser-praxis 6/7 2022 N A C H R I C H T E N

Am14. und15 Juni 2022 treffen sich zahlreiche hochrangige Vertreter der europäischen Gasindustrie zur EGATEC, der 5. EuropäischenGastechnologiekonferenz, in Hamburg. Im Mittelpunkt stehen Perspektiven, Herausforderungen und Chancen in einem zunehmend volatilen Umfeld: Klimawandeldebatten, neue Strategien verbunden mit der Nutzung von Wasserstoff und die fortschreitende technologische Entwicklung verändern den Markt. Weltweit aufmerksambeobachtete Leuchtturmprojekte wie HEAVENN oder HyDeploy, unterstreichen die Bedeutung des intensiven Branchenaustauschs auf europäischer Ebene. Die EGATECbringt daher führende europäische Gasetechnologie- und Forschungsverbände zusammen und bietet eine optimale Plattform zumWissens- und Erfahrungsaustausch. Neben zahlreichen prominenten Rednern aus Industrie und der Politik stehenmit demExkursionstag am Montag, den 13. Juni, einer Posterausstellung und der Verleihung des GERG Young Researchers’ Award weitere Highlights auf der Agenda. Die EGATEC 2022 wird von der Vereinigung der nationalen Verbände der Gasversorgung in Europa (MARCOGAZ) und der European Gas Research Group (GERG) organisiert und vom DVGW mit Unterstützung des European Research Institute for Gas and Energy Innovation (ERIG) ausgerichtet. Die gesamte Veranstaltung findet in englischer Sprache statt. W INFORMATIONS-PLUS Detaillierte Informationen zum Tagungs- programm finden Sie unter https://egatec-conference.com/. Europäische Austauschplattform zur Zukunft von Gas EGATEC 2022 in Hamburg Die Bundesregierung will die Wasserstoff-Forschung massiv ausbauen und setzt dafür auf internationale Kooperationen. Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger kündigteMitte Mai an, dass in den kommenden vier Jahren zwei Milliarden Euro in den Bereich fließen sollen. Zunächst sollen die Beziehungen über den Bezug von Wasserstoff mit Australien verstärkt werden. Man müsse aber auch eine „europäischeWasserstoff-Union“ schaffen und in der EU die Zusammenarbeit bei dieser Zukunftstechnologie fördern, so Stark-Watzinger. Man könne Wasserstoff sehr wohl auch in Europa gut produzieren, sagte Robert Schlögl, Direktor des Fritz-Haber-Instituts der MaxPlanck-Gesellschaft. Er verwies auf die enormen Mengen an Wasserstoff, die man als Ersatz für fossile Energieträger brauche. Derzeit werde weltweit so viel Wasserstoff produziert, dass er zehn Prozent der Stromversorgung in Deutschland ersetzen könne. Deshalb müsse man überall mit dem Bau von Anlagen beginnen und in alle Richtungen forschen. Weltweit führend sei in dem Bereich eindeutig China. Die Zusammenarbeit mit Australien sei sinnvoll, weil dort die Produktionsbedingungen sehr gut seien und Transportkosten kaum ins Gewicht fielen. Auch deutsche Hersteller produzierten mittlerweile Schiffsmotoren, die etwa mit Ammoniak, Methan oder Wasserstoff betrieben würden. Er erwarte „in kurzer Zeit“ eine Umrüstung vieler Schiffsmotoren. Im Rahmen einer zukünftigen nationalenWasserstoffversorgung sucht die Bundesregierung neben heimischen Erzeugungspotenzialen verlässliche internationale Partner – mit Schwerpunkt EU – für die Gewinnung und den Transport vonWasserstoff und ist dabei, entsprechende Kooperationen und Importstrukturen aufbauen. Dies biete die Chance zum Ausbau des EU-Energie-Binnenmarkts sowie zur Kooperation mit sonnen- und windreichen Entwicklungsländern. ImRahmender weltweiten Suche nach Kooperationspartnern stehen vor allem demokratische Länder im Fokus. So hatte Bundeskanzler Olaf Scholz unlängst eine Demonstrationsanlage für dieWasserstoffproduktion in Japan besucht. W Bund investiert zwei Milliarden Euro in Wasserstoff-Forschung 11 energie | wasser-praxis 6/7 2022

www.egatec-conference.com I #EGATEC22 ©Hamburg Messe und Congress/CCH; Florian Busch Liam Nolan Chairman of the EGATEC 2022 Programme Committee Vice President, MARCOGAZ, Head of Technical Development & Technical Training, Gas Networks Ireland EGATEC is at the cutting edge of the technical changes happening in our industry today. Now more than ever we need to understand these changes and the roadmap to a decarbonised European gas industry.” “ The 5th European Gas Technology Conference A MARCOGAZ and GERG event Hosted by DVGW e.V. supported by ERIG Hamburg, Germany 14–15 June 2022

ORGANISERS HOST WITH SUPPORT OF Register now! Conference Topics Role of Gas in the Future Energy System How Gas Can Become Carbon Neutral Hydrogen Infrastructure Future Gas Utilisation Lighthouse Projects Next Steps for the Gas Industry Additional Side Events at EGATEC 2022 Get Together at Haus der Patriotischen Gesellschaft on the day of arrival (Monday, 13 June 2022) with welcome drinks and snacks Scientific Poster Exhibition with poster presentations by GERG Young Researchers on day 1 and a poster breakfast on day 2 Evening Event at Hamburg Del Mar on the first conference day (14 June 2022) with a barbecue dinner and drinks Introduction of new MARCOGAZ president and Award Ceremony of the GERG Young Researchers‘ Awards during evening event DIAMOND SPONSOR SILVER SPONSOR HOST OF GET TOGETHER VIDEO SPONSOR COOPERATION PARTNERS MEDIA PARTNERS

Redaktion: Herr Tobaben, warum benötigt die Region Mitteldeutschland zeitnah eine Wasserstoffinfrastruktur? Jörn-Heinrich Tobaben: In Deutschland gibt es zwei große etablierte Wasserstoffnetzsysteme: Das größte befindet sich imBereich Rhein-Ruhr und das zweite hier bei uns in Mitteldeutschland. Es stammt noch aus DDR-Zeiten und dient als Stoffstromverbund der mitteldeutschen Chemieparkstandorte, wo Wasserstoff eine bedeutende Rolle als Chemierohstoff spielt. Es gibt also bereits eine vorhandene Infrastruktur. Darüber hinaus ist es so, dass diese Bestandspipeline Standorte streift, die immer bedeutsamer werden, beispielsweise den Flughafen Leipzig/Halle. Es gibt dort sogar einen Anbindungsstutzen, der zurzeit allerdings nicht genutzt wird. Meine These ist: Vermutlich ist der Flughafen Leipzig/Halle der einzige Flughafen, der eine Wasserstoffanbindung hat – und er ist auf Wachstumskurs. Ich bin davon überzeugt, dass man sich die Frage stellen sollte, wie der Flughafen langfristig grünwerdenkann, um die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung zu verbessern. Ich denke da vor allem an die Wärmeversorgung bzw. den Betrieb des Fuhrparks mit grünemWasserstoff. Ein weiteres Beispiel ist der Leipziger Norden – ein Areal, das in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erfahren hat. Einer unserer dort angesiedelten Partner, dasWerk Leipzig der BMWGroup, hat für sich einenAusbaupfad hin zu einem grünen Werk definiert und möchte dies mithilfe von grünemWasserstoff bis Mitte des Jahres 2024 realisieren. Mir ist wichtig zu betonen, dass wir uns damit nichtmehr virtuell in der PowerPoint-Welt bewegen, sondern in der realen Welt mit einem bestehenden Kundenwunsch. Die Mengen, die dort benötigt werden, können qua Masse auch nur per Pipeline zur Verfügung gestellt werden. Dies war auch der eigentliche Türöffner für das Projekt: Insgesamt 15 Industrieunternehmen, Energieversorger, Netzbetreiber und kommunale Partner haben eine gemeinsame Machbarkeitsstudie für den Aufbau eines mitteldeutschen Wasserstoffnetzes veröffentlicht. Über die Details haben wir mit Jörn-Heinrich Tobaben, Geschäftsführer der Europäischen Metropolregion Mitteldeutschland und Vorstandsmitglied des Wasserstoffnetzwerks HYPOS, gesprochen. Unsere Studie benennt erstmals ein länderübergreifendes Wasserstoff-Infrastrukturkonzept für die Region Mitteldeutschland! » « Quelle: Tom Schulze Jörn-Heinrich Tobaben ist seit Anfang 2011 Geschäftsführer der Metropolregion Mitteldeutschland Management GmbH. In seiner Amtszeit hat sich die Metropolregion Mitteldeutschland als länderübergreifendes Netzwerk und wichtiger Akteur in den Bereichen Regionalentwicklung und Strukturwandel etabliert. Darüber hinaus wurde mit dem HYPOS e. V. das größte und förderstärkste Wasserstoffprojekt in Ostdeutschland initiiert. Vor seiner Tätigkeit bei der Metropolregion Mitteldeutschland war der studierte Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe zunächst als Firmenkundenbetreuer bei einer deutschen Großbank und sodann seit dem Jahr 2000 als Geschäftsführer in den Bereichen Standortvermarktung und Technologieförderung tätig, u. a. bei der BIO-NET LEIPZIG Technologietransfergesellschaft (BIOCITY) und beim Business & Innovation Centre (BIC) Leipzig. ZUR PERSON 14 energie | wasser-praxis 6/7 2022 I N T E R V I E W

Wir haben als Metropolregion gemeinsammitHYPOS eine Steuerungsgruppe initiiert, umdie gesamte Region in den Blick zu nehmen. Dazu gehört nicht nur der Raum Leipzig, sondern auch Halle, Bitterfeld, Leuna, Zeitz und Chemnitz. Das sind sehr bedeutende historische Industriestandorte. Man darf sagen, dass das industrielle Herz Ostdeutschlands genau dort schlägt. Die entscheidende Frage an alle Partner lautete: Inwieweit lassen sich unter Berücksichtigung berechtigter individueller Einzelinteressen mit diesem Projekt Kooperationsgewinne realisieren? Nach Abwägung haben sich dann die imProjekt assoziierten Partner für eine solche systemische Herangehensweise entschieden, das ist ein großer Erfolg. Anders gesagt: Mit der Machbarkeitsstudie liegt erstmals eine umfassende Untersuchung der potenziellen Bedarfe und Erzeugungspotenziale von grünemWasserstoff sowie ein länderübergreifendes Wasserstoff-Infrastrukturkonzept für die Region Leipzig-HalleBitterfeld-Leuna-Zeitz-Chemnitz vor. Mehr noch: Das rein privatwirtschaftlich finanzierte Projekt zeigt eindrucksvoll den gemeinsamen Willen der Region zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Energieversorgung in Mitteldeutschland. Aber, und auchdas ist Teil derWahrheit: Ich denke, dass sich die Region noch stärker gemeinsam aufstellen sollte. Man muss eine Balance finden zwischen den legitimen Einzelinteressen und den gemeinsamen Zielen, um im Wettbewerb der Regionen bestehen zu können. Redaktion: Inwieweit kann die bestehende Erdgasinfrastruktur für ein solches Wasserstoffnetz genutzt werden? Tobaben: Das ist natürlich eine berechtigte Frage. Basierend auf der Prämisse, Erzeugungsnachfrage- undGrünstromproduktionsstandorte zusammenzubringenund zuverbinden, wurdenvon den insgesamt 339 km Leitungsnetz insgesamt 13 unterschiedlich dimensionierte Abschnitte identifiziert, die perspektivisch umgenutzt werden können. Das heißt: Die vier beteiligten Gasnetzbetreiber haben sich zusammengesetzt, um zu untersuchen, welche Bestandstrassen genutzt werden können – dabei sind sie auch durchaus bis andieGrenze dessen gegangen, was man demWettbewerber zeigen möchte und darf. Die spezifische Qualität dieses Ansatzes besteht also darin, dass er ingenieurwissenschaftlich aus den Bestandsdaten entwickelt wurde. Redaktion: In Ihrer Studie sprechen Sie von der „bestmögliche Verknüpfung von Erzeuger- und Abnehmerseite“ – beschreibt dies nicht genau das HenneEi-Problem? Welche Anreize sorgen dafür, dass sowohl auf Erzeuger- als auch auf Abnehmerseite weitere Investitionen getätigt werden? Tobaben: Der bereits erwähnteWunsch des Kunden, grünen Wasserstoff beziehen zu wollen, ist in einem solchen Szenario ein Gamechanger. Die Botschaft lautet also: Baut uns bis 2024 diese Pipeline. Für mich heißt das: Privatwirtschaftliche Lösungen ohne eine staatliche Förderkulisse sind möglich. Gleichwohl, und dies ist nun der zweite Teil meiner Antwort auf Ihre Frage, sind wir auch im Kontext der Fördermittel in einer besonderen Situation. Große Teile der Region werden vom Ausstieg aus dem Abbau und der Verstromung der Braunkohle betroffen sein und können von der in diesem Zusammenhang durch den Bund und durch die EU initiierten spezifischen Förderkulisse „Strukturwandel“ des Bundes und der EU profitieren. Wir sprechenhier über einGesamtvolumen von 40 Mrd. Euro für alle drei Kohlereviere in Deutschland. Erfreulicherweise läuft die Verbundpipeline, die wir untersucht haben, genau durch die zur Förderkulisse gehörenden Gebietskörperschaften in Sachsen-Anhalt und Sachsen – mit Ausnahme von Chemnitz. Das ist eine große Chance. An der Stelle sollte man zudem die Frage stellen, ob eine Wasserstoffpipeline auch öffentliche Infrastruktur sein könnte. Ein großer Teil dieser 40 Mrd. Euro für die drei Reviere, etwa 26 Mrd. Euro, sind Bundesvorhaben im Bereich Infrastruktur. Aus meiner Sicht läge es nach dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregion im Interesse des Bundes, die Netze als öffentliche Infrastruktur auszuweisen, zumindest in einer europäisch ausgerichteten Dimensionierung. Auf regionaler Ebene kann die Anbindung an ein überregionales Netz dann wieder privatwirtschaftlich erfolgen. Wenn es dazu den politischen Willen gibt, wäre das bei uns möglich. Redaktion: Im Rahmen der Studie identifizieren Sie für das Jahr 2040 einen Das rein privatwirtschaftlich finanzierte Projekt zeigt eindrucksvoll den gemeinsamen Willen der Region zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Energieversorgung in Mitteldeutschland. « » 15 energie | wasser-praxis 6/7 2022

Gasbedarf von 20 Terawattstunden, jedoch „nur“ ein jährliches Erzeugungs- und Elektrolysepotenzial von rund 2,5 Terawattstunden grünem Wasserstoff. Wie soll die Differenz im Hinblick auf die Dekarbonisierungsziele und den Bedarf an grünen Gasen ausgeglichen werden? Tobaben: Ichwürde gerne noch eine Annahme erwähnen, die wir bei dieser Betrachtung eingefügt haben. Wir haben unterstellt, dass30Prozentdes erzeugten Grünstroms für die Wasserstoffproduktion verwendet werden. Es ist sehr wichtig, dass wir dies berücksichtigen. Und unsere These ist: Es wird mehr werden. Auchhier spielt das Thema StrukturwanDas Wasserstoffnetzwerk Mitteldeutschland Insgesamt 15 Industrieunternehmen, Energieversorger, Netzbetreiber und kommunale Partner haben eine gemeinsame Machbarkeitsstudie für den Aufbau eines mitteldeutschenWasserstoffnetzes veröffentlicht. Die von der Europäischen Metropolregion Mitteldeutschland und dem Wasserstoffnetzwerk HYPOS koordinierte Untersuchung sieht ein 339 km langes Netz zur Verbindung der Erzeuger und Nachfrager von grünem Wasserstoff in der Region Leipzig-Halle-Bitterfeld-Leuna-Zeitz-Chemnitz vor. Im Rahmen der von der DBI Gas- und Umwelttechnik GmbH und INFRACON Infrastruktur Service GmbH & Co. KG erstellten Studie „Wasserstoffnetz Mitteldeutschland“ wurden die potenziellen Bedarfe industrieller Akteure an grünemWasserstoff und mögliche Erzeugungskapazitäten mittels Wind- und Solarstrom erfasst. Demnach wird für das Jahr 2040 eine Gasnachfrage von 20 Terawattstunden pro Jahr in der Region prognostiziert. Dies entspricht – bezogen auf den Heizwert – einem jährlichen Bedarf von rund ca. 6,7 Mrd. Kubikmetern Wasserstoff. Demgegenüber steht ein jährliches Erzeugungs- und Elektrolysepotenzial von rund 2,5 Terawattstunden grünem Wasserstoff im Betrachtungsraum unter der Annahme, dass 30 Prozent des erzeugten Grünstroms für die Wasserstoffproduktion verwendet werden. Für die Verbindung der identifizierten potenziellen Erzeuger und Nachfrager von grünem Wasserstoff skizziert die Studie ein mitteldeutsches Wasserstoffnetz mit 13 Leitungsabschnitten auf einer Gesamtlänge von 339 km. Basis für dieses Netz sind die Projektideen der an der Studie beteiligten Unternehmen. Für den Fall eines kompletten Neubaus wären damit Gesamtkosten in Höhe von rund 610 Mio. Euro verbunden. Diese ließen sich durch die Umwidmung bestehender Erdgasleitungen und mögliche Trassenbündelungen auf rund 422 Mio. Euro reduzieren. Bei optimalen Planungs- und Baubedingungen geht die Studie von einem Realisierungszeitraum von rund fünf Jahren pro neuem Leitungsabschnitt aus; für die Umstellung bestehender Leitungen werden zwei bis drei Jahre veranschlagt. Einzelne Teile des geplanten Netzes sollen dabei parallel gebaut bzw. umgestellt werden, sodass regionale Wasserstoffcluster bereits vor Fertigstellung des Gesamtnetzes in Betrieb gehen können. Um den über die regionaleWasserstofferzeugung hinausgehenden Bedarf, insbesondere der industriellen Kerne in der Region, durch Importe zu decken, soll das Netz an den entstehenden European Hydrogen Backbone angeschlossen werden. Das geplante Wasserstoffnetz wird nach dem Willen der beteiligten Partner die Basis für die zukünftige gemeinschaftliche Weiterentwicklung der Wasserstoffinfrastruktur in Mitteldeutschland bilden. Dazu ist in einem weiteren Schritt die Entwicklung eines ganzheitlichen Ansatzes zur flächendeckenden Versorgung von Industrie, Gewerbe/Handel/ Dienstleistung und Haushalten geplant. Die von der Metropolregion Mitteldeutschland koordinierte und vom Wasserstoffnetzwerk HYPOS fachlich begleitete Machbarkeitsstudie „Wasserstoffnetz Mitteldeutschland“ wurde im Auftrag von mehr als einem Dutzend regionaler Akteure und Unternehmen erstellt. Zu den Kooperationspartnern gehören die BMW Group Werk Leipzig, DHL Hub Leipzig GmbH, Siemens AG, VNG AG, Südzucker Gruppe, Flughafen Leipzig/Halle GmbH, Leipziger Gruppe, Stadtwerke Halle GmbH, MIBRAG Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH, MITNETZ Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas mbH, ONTRAS Gastransport GmbH, eins energie in sachsen GmbH & Co. KG und die Stadt Leipzig. Quelle: Metropolregion Mitteldeutschland/HYPOS INFORMATIONEN Aus meiner Sicht läge es nach dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregion im Interesse des Bundes, die Netze als öffentliche Infrastruktur auszuweisen, zumindest in einer europäisch ausgerichteten Dimensionierung. « » 16 energie | wasser-praxis 6/7 2022 I N T E R V I E W

del undBraunkohleausstieg einebedeutsameRolle.Wir habenbeispielsweise im Südraumvon Leipzig riesige Flächenpotenziale, die zwar alle noch dem Bergrecht unterliegen, die man jedoch perspektivisch für Windkraft- und Fotovoltaik-Anlagen nutzen könnte. Aber: Auch wenn wir konservativ und recht realistisch gerechnet haben, werden wir um Importe nicht herumkommen. Das wissenwir undwir benennen es auch. Auf die derzeitigen geopolitischen Veränderungen müssen wir reagieren, indem wir nicht nur mit den ostdeutschenHafenstandorten operieren, sondern auch die Anbindung an die Nordsee stärker in den Fokus nehmen. Der Gesamtstandort Mitteldeutschland hat einfach den Nachteil, dass er „land-locked“ ist. Das betrifft nicht nur die Wasserstoffwirtschaft, sondern auch die Chemiestandorte. DiesenNachteil hatteman aber immer schon, man muss auch beim Thema Wasserstoff damit umgehen. Das heißt: Wir brauchenzwingenddieAnbindung an das europäische bzw. deutscheWasserstoffnetz. Ohne das wird es nicht gehen – das ist auch eine wesentliche Erkenntnis aus unserer Studie. Redaktion: Welche Handlungsempfehlungen sind aus Ihrer Sicht die dringlichsten, um den Aufbau des Netzwerkes schnellstmöglich zu forcieren? Tobaben: Es passiert ja bereits. Es gibt Konsortien, die die Nachfrage nach grünem Wasserstoff im Leipziger Norden bedienen wollen und fieberhaft darüber nachdenken, wer als Erster das Rennen macht. Da braucht man auch keinen Wirtschaftsförderer mehr, die Umsetzung erfolgt rein privatwirtschaftlich. Und es zeigt, wie weit wir eigentlich schon sind. Gleichwohl müssen auch wir die allgemeinen Hürden der deutschen Wasserstoffwirtschaft erst noch nehmen. Ein Beispiel: Die Definition, was als grüner Wasserstoff klassifiziert wird, istmehr als überfällig! Wir müssen dringend Elektrolyseurkapazitäten in signifikanten Größenordnungen aufbauen. In diesem Kontext ist es bei einem großen Chemieparkbetreiber unwahrscheinlich, dass er vorhandene große Flächen spekulativ mit einer industriellen Vorplanung versieht. Ohne feste Rahmenbedingungen, die auch eine Refinanzierung erlauben, geht kaum ein Akteur in Vorleistung. Diese Unsicherheit muss raus aus dem Markt. Ansonsten wird es auch keine Umsetzung dieser ambitionierten Ausbauziele geben. Redaktion: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Tobaben! Quelle: HYPOS e. V. © HYPOS Hydrogen Power Storage & Solutions East Germany e.V. Salzgitter Berlin/Rostock Bestandspipeline Wasserstoffnetz Mitteldeutschland Importpipeline Elektrolyseur, Bestand Elektrolyseur, Standortpotenzial Erneuerbare Energien, Standortpotenzial Reallabor Energiepark Bad Lauchstädt Autobahn Halle (Saale) Leipzig Meißen Grimma Zeitz Böhlen Lippendorf Borna Meerane Gera Bad Lauchstädt Schkopau Leuna Bitterfeld-Wolfen Dresden Delitzsch Piesteritz Rodleben Bernburg Profen Chemnitz ns East Germany e.V. Berlin/Rostock Bestandspipeline Wasserstoffnetz Mitteldeutschland Importpipeline Elektrolyseur, Bestand Elektrolyseur, Standortpotenzial Erneuerbare Energien, Standortpotenzial Reallabor Energiepark Bad Lauchstädt Autobahn e (Saale) Leipzig Meißen Grimma Zeitz Böhlen Lippendorf Borna Meerane Gera Lauchstädt Schkopau Leuna Bitterfeld-Wolfen Dresden Delitzsch Piesteritz Rodleben Bernburg Profen Chemnitz Übersichtskarte des untersuchten Wasserstoffnetzes 17 energie | wasser-praxis 6/7 2022

Es ist eine Frage, die schon häufiger in Fachkreisen diskutiert wurde und die noch immer aktuell ist: Wie kann der Prozess zur Netzauskunft für alle Beteiligten effizienter gestaltet werden? Einerseits sind die ausführenden Firmen dazu verpflichtet, sich – zumSchutz vor Personen- und Sachschäden – über vorhandene Leitungssysteme und andere Gefahrenquellen umfassend zu informieren. Anderseits besteht für Netzbetreiber und weitere Akteure eine Mitwirkungsverpflichtung, umAuskünfte zu ihrer Infrastruktur zeitnah zu erteilen. Dies ist seit Jahrzehnten in den Regelwerken festgeschrieben und gelebte Praxis. In einer weitgehend digitalisierten Arbeitswelt sollten effiziente Prozesse kein Thema mehr sein, könnte man annehmen. Doch die Meinungen, wo tatsächlich die Probleme liegen und wie sie zu lösen sind, gehen weit auseinander. Fakt ist, dass sich die Rahmenbedingungen imVergleich zu früheren Jahren deutlich geändert haben: Die Anzahl der Baumaßnahmen ist durch den verstärkten Netzausbau, insbesondere der Glasfasernetze, massiv angestiegen; gleiches gilt für die Vielzahl an Infrastrukturnetzbetreibern, vom Stromnetzbetreiber bis hin zum privaten Betreiber von Windparks oder Fotovoltaikanlagen. Diese stark gestiegene Anzahl macht es für Baufirmen, Planungsbüros oder andere „Auskunftssuchende“ zunehmend schwierig, den bzw. die richtigen AnsprechDigitaler Prozess zur Netzauskunft – das DVGW-Merkblatt GW 115 setzt erstmals Standards zum Datenaustausch Vielfältige Faktoren und Entwicklungen haben dazu geführt, dass die Anzahl an Baumaßnahmen in Deutschland in den letzten Jahren stetig angestiegen ist – und mit ihr auch die Netzauskunfts-Anfragen. Mit Blick auf die große Anzahl an Netzbetreibern der Energie- und Wasserversorgung als auch der Telekommunikation in der Bundesrepublik wird schnell ersichtlich, dass diese Menge an Anfragen nur mit modernen Technologien zeitnah und effizient bearbeitet werden kann. Umso wichtiger ist es, für den dazu notwendigen Datenaustausch einheitliche Standards zu schaffen. Der vorliegende Fachbeitrag beschreibt vor diesem Hintergrund die Vorgaben, die mit dem im Dezember 2020 veröffentlichten DVGWMerkblatt GW 115 festgeschrieben wurden. von: Markus Lermen (energis-Netzgesellschaft mbH), Martin Radtke (Thyssengas GmbH) & Mike Schöffel (NRM Netzdienste Rhein-Main GmbH) Bauunternehmen Standardisierte Auskunftsanfrage Zuständigkeitsprüfung VU Metasystemportal Anbieter A Anbieter B VU Z Z Z Auskunftserteilung DVGW GW 118 (A) in Eingangskanal der zuständigen VU Z Z Z Abb. 1: Metasystematik des DVGW-Merkblattes GW 115 Quelle: die Autoren 18 energie | wasser-praxis 6/7 2022 T E C H N I K

partner zu finden. Dies gilt insbesondere für den außerörtlichen Bereich – bei den regionalen und städtischen Verteilnetzen der Strom-, Gas- und Wasserversorgung hingegen sind erfahrungsgemäß die Anlaufstellen für die Netzauskunft in den meisten Fällen bekannt. Die Netzbetreiber ihrerseits haben den internen Auskunftsprozess nach dem DVGW-Arbeitsblatt GW 118 häufig automatisiert, indem sie einen Zugang über das Internet bereitstellen,mit einer entsprechendenSoftware auf Basis ihrer GIS-DatendieBetroffenheit prüfenund, sofern zutreffend, entsprechende Netzauskünfte erstellen und versenden. Neben diesen Einzellösungen haben sich vor einigen Jahren bundesweit agierende Portale etabliert, um für Auskunftssuchende die Recherche der zuständigen Netzbetreiber inklusive deren Kontaktdaten zu ermitteln. Einige dieser „Metasystem-Portalbetreiber“ bieten bereits darüber hinausgehende Dienstleistungen zur Koordinierung und Optimierung von Netz- und Tiefbaumaßnahmen für ihre Kunden an. Doch wie können die verschiedenen „Welten“ miteinander verbunden werden? Es bedarf einer Standardisierung der Auskunftsanfrage, der Zuständigkeitsprüfung sowie der Weitergabe der Rechercheergebnisse, um Anfrage- und Auskunftsprozess zu verknüpfen und zu harmonisieren. Dies war die Aufgabenstellung, der sich vor etwa zwei Jahren das technische Komitee Netzdokumentation des DVGW gegenübergestellt sah. Von Beginn an wurden Fachgruppen des Forums Netztechnik/Netzbetrieb (FNN) im VDE und der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) eingebunden, um die Anforderungen auf eine breite Basis zu stellen. Auch Betreiber von Metasystemportalen sowie GIS-Hersteller wurden gehört und ihre Anregungen berücksichtigt. Als Ergebnis der Zusammenarbeit ist im Dezember 2020 das DVGW-Merkblatt GW 115 veröffentlicht worden, kurze Zeit später folgte die S 115 des VDE/FNN. Darin werden erstmals Mindestanforderungen für eine standardisierte Auskunftsanfrage sowie deren digitale Weiterverarbeitung festgeschrieben. InvereinzeltenDiskussionsrundenund Veröffentlichungen wird die Standardisierung, die das DVGW-Merkblatt GW 115 vorgibt, als nicht weitgehend genug kritisiert. Man fordert eine gesetzliche Vorgabe, in der ein einziges, bundesweit tätiges und für alle Beteiligten des Auskunftsprozesses verpflichtendes Portal vorgeschrieben wird, und verweist auf Erfahrungen des niederländischen KLIC-Systems. Der Vorschlag klingt auf den ersten Blick zunächst einleuchtend – wenn man jedoch einen direkten Vergleich anstellt, so zeigen sich schnell deutliche strukturelle Unterschiede: Während in den Niederlanden elf Stromnetzbetreiber und eine ähnliche Zahl anGas- und Wassernetzbetreibern existieren, sind es in Deutschland mit Stand 2021 insgesamt 910 Stromnetz- und 756 Gasnetzbetreiber sowie ca. 5.800 Unternehmen im Bereich der Wasserversorgung. Sehr bewährt haben sich seit mehr als 100 Jahren die Normen des DIN und die anerkannten Regeln der Technik, um die technischen Entwicklungen zu steuern und zu vereinheitlichen. Wohlweislich hat der Gesetzgeber in Deutschland bis heute, nicht zuletztwegender föderalenStruktur der Bundesrepublik, die Verantwortung in dieHändederDINundder technischen Verbände gelegt. Eine gesetzliche Reduzierung der Anbieter dieser Portale erscheint daher weder sinnvoll noch grund der gesetzlichen Rahmenbedingungen umsetzbar. Mit dem Standard, den das DVGW-Merkblatt GW 115 definiert und den weitere Verbände mittragen, bietet sich hingegen die Möglichkeit des zügigen Informations- und Datenaustausches zwischen allen Prozessbeteiligten (Abb. 1). 19 energie | wasser-praxis 6/7 2022          

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