DVGW energie | wasser-praxis, Ausgabe 1/2023

satz durchgeführt werden, auf der inhaltlichen Seite aber denMitarbeitenden größere Einflussmöglichkeiten oder Eigenverantwortung eröffnen. Als Grund für ein solches Vorgehen könnte derWunsch nach einemprägnanten und stringenten Prozess eine Rolle spielen oder auch die Beobachtung, dass gerade bei der Neuentwicklung und ersten Einführung eines solchen Ansatzes viele Mitarbeitende möglicherweise noch skeptisch sind und zunächst eine Referenzerfahrung suchen. Structure (Struktur) Ein anderer Ansatz ist hinsichtlich der Aufbauorganisation und der Zielvereinbarungen zu beobachten. In der Aufbauorganisation bestehen die StadtwerkeMenden aus insgesamt 23 Teams, die gleichrangig und gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Der Geschäftsführer, der extern die handels- und gesellschaftsrechtlichen Kompetenzen und Verantwortungen trägt und ausübt, tritt im organisatorischen Innenverhältnis fast ausschließlich in einer Teamleiterrolle auf. Dieser beziehungsorientierte Ansatz ist sichtbar darauf ausgerichtet, Hierarchien abzuflachen, Interaktion zu stärken und die Kompetenzen der einzelnen Mitarbeitenden stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Damit wird das Leitbild des „servant leadership“ [10], der dienenden Führung, operationalisiert. Diese Elemente, die einen Gegenentwurf zu dem sonst oft in der Versorgungswirtschaft anzutreffenden kaskadenartigen Organisationsmodell bilden, reflektieren viele Werte aus dem Level „Grün“ des 9-Level-Modells, wie z. B. Kooperation, Partizipation, Wertschätzung und Gleichwertigkeit. Das Zitat: „Der Meister und der Prokurist sitzen auf Augenhöhe am gleichen Tisch“ beschreibt den gelebten Zustand sehr treffend. In eine ähnliche Richtung zielt auch der Ansatz, keine Individualziele mehr zu definieren (ein Element des Levels „Orange“), sondernmit teambezogenen Zielen zu operieren, die in Kooperation und unter Teilnahme aller Teammitglieder (Level „Grün“: Partizipation und Kooperation) zu erreichen sind [11]. Skills (Fähigkeiten): Weiterbildung Ein drittes Beispiel für die Veränderung der Unternehmenskultur der Stadtwerke Menden ist die Organisation der Weiterbildung imUnternehmen. Einerseits unterstützt das Unternehmen das selbstinitiierte Lernen durch ein entsprechendes digitales Lernprogramm. Zusätzlich zu digitalen Möglichkeiten werden in einer Pilotgruppe neue Lernangebote getestet, bevor sie breiter ausgerollt werden. Das selbstinitiierte Lernen („SiLaS“: Selbstinitiiertes Lernen aller Stadtwerker*innen) legt dabei insbesondere Wert auf die Selbstverantwortung der Teammitglieder, indem (a) Führung aus natürlicher Autorität heraus erlebt wird, (b) Lernraum bereitgestellt wird (Integration der Personalentwicklung ins Tagesgeschäft) und (c)Werkzeuge zur Statuseinschätzung und zur eigeninitiierten Entwicklung zur Verfügung gestellt werden [11]. Hier reflektieren sich Werte aus den Leveln „Orange“ (insbesondere Verknüpfung der eigenen beruflichen Entwicklung mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens sowie die Nutzung moderner Technik) sowie „Gelb“ (insbesondere persönliche Entwicklung, Wissens- und Kompetenzaufbau, Selbstreflexion). Die beziehungsorientierte Ausrichtung der Unternehmenskultur wird weiter dadurch unterstrichen, dass allen Mitarbeitenden die Möglichkeit zur selbstinitiierten Rückmeldung eröffnet wird. Ausdrücklich wird das Ziel verfolgt, die persönliche Weiterentwicklung aller Einzelnen zu unterstützen und jede und jeden zur selbstgesteuerten Entwicklung zu befähigen [9]. Hier werden ebenfalls Werte verschiedener Level sichtbar, wie z. B. Vertrauen, Offenheit und Wertschätzung (Level „Grün“) sowie die Unterstützung und Möglichkeit zur regelmäßigen Selbstreflexion und die persönliche Weiterentwicklung (Level „Gelb“). Von „Blau“ stringent weitergehen Diese Beispiele machen deutlich, welchenWeg im9-Levels-Modell die Stadtwerke Menden eingeschlagen haben. Unternehmen in gesättigten, stabilen oder durch ein De-facto-Monopol nicht umkämpften Märkten weisen regelmäßig viele Elemente des Levels „Blau“ auf: Sie verfügen über klar gegliederte hierarchische Strukturen, Service-LevelAgreements oder andere festgelegte Kooperationsregeln zwischen den Bereichen sowie eine hohe organisationale Stabilität. Inwieweit diese Strukturen in der aktuellen Phase der Unsicherheit und Herausforderung tragfähig und belastbar sind, ist eine der spannenden Fragen in der betriebswirtschaftlichen und organisationspsychologischenWissenschaft – und in der täglichen Praxis in den Unternehmen. Mit ihrer Neuaufstellung beschreiten die StadtwerkeMenden nicht nur in der Ver- und Entsorgungswirtschaft Neuland. Eine solche Ausrichtung auf eine kooperative und beziehungsorientierte Unternehmenskultur, die anstrebt,Werte aus den Leveln „Grün“ und „Gelb“ umzusetzen, ist ein seltenes Phänomen. Die große Chance dieses Ansatzes besteht zum einen darin, sich in dieser Weise bereits frühzeitig auf die Volatilität und Unsicherheit der aktuellen Situation eingestellt zu haben. Zum anderen könnte auch im Hinblick auf die Attraktivität als Arbeitgeber hier ein Vorteil liegen, weil neben der Qualität der Versorgung und derWertschöpfung eben auch ein Schwerpunkt auf die Wertschätzung der Mitarbeitenden gelegt wird. Kleine Schritte möglich, aber strukturiert! In der organisationalen Begleitung erleben die Autoren dieses Beitrags immer wieder, dass derart weitreichende Schritte mit den unterschiedlichsten Begründungen als nicht umsetzbar betrachtet werden. Dies ist auch nicht das Ansinnen dieses Artikels. Vielmehr postulieren die Autoren, dass die nächsten Schritte zur Weiterentwicklung der Unternehmenskultur erstens vor dem Hintergrund der geteilten Ausgangswerte des eigenen Unternehmens abzuleiten sind und zweitens diese Einzelschritte miteinander in einer Gesamtlogik verbunden sein sollten. P 42 energie | wasser-praxis 01/2023 O R G A N I S AT I O N & M A N A G E M E N T

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