ewp_042022

E D I T O R I A L Klimaneutrale Gase und die Gas- infrastruktur sind die Schlüssel- elemente für Versorgungssicherheit und Klimaschutz Liebe Leserinnen und Leser, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und das damit verbundene unermessliche menschliche Leid sowie die Zerstörung ganzer Städte erfüllen uns alle mit größter Sorge. UnsereGedanken sind zuallererst bei jenenMenschen, deren Angehörige, Freunde undNachbarn getötet wurden und die von den Auswirkungen des Krieges besonders betroffen sind und darunter zu leiden haben. In Deutschland stellen sich viele Menschen aus nachvollziehbaren Gründen nun die Frage, ob unsere Energieversorgung angesichts der dramatischen Ereignisse sicher ist und sicher bleibenwird.Wir sagenklar: Aktuell ist dieVersorgungmitGas nicht gefährdet.Mit Blickauf die grundsätzlicheAbhängigkeit Deutschlands durch hohe Importanteile hat Bundeswirtschaftsminister RobertHabeck jedochbetont, dass der Ausbau erneuerbarer Energiennunnoch schneller vorangehenmüsse. DieseEinschätzung teilt derDVGW.DaswirkungsvollsteMittel, um sich zeitnah von den Importen fossiler Energieträger unabhängiger zu machen, ist der beschleunigte Ausbau der erneuerbarenEnergienunddamit verbundender rascheAusbau einer Wasserstoffwirtschaft unter Nutzung der bestehenden Gasinfrastruktur. Und dies aus gutem Grund: Der schnelle Umstieg auf eine vollelektrische Lösung ist – auch langfristig – aufgrundder benötigtenEnergiemengeunrealistisch, dieEnergiewende unter Einhaltung der Klimaschutzziele ohne Wasserstoff nicht möglich. Die dafür notwendige Infrastruktur sowie das technische Know-how stellt die Gasbranche bereits heute bereit. Viele Anwendungen sind H2-ready und können zukünftig zu einhundert Prozent klimaneutralenWasserstoff aufnehmen. Die vorhandene Infrastruktur erhöht unsere Versorgungssicherheit und sollte per se nicht negiert werden. Doch woher kommen nun die immensen Mengen an klimaneutraler Energie? Die heimische Produktion klimaneutraler, erneuerbarer Gase ist ein wichtiger Baustein, um die Abhängigkeit von Importen zu senken. Das wirtschaftlich und technischdarstellbarePotenzial liegthierbei 300bis400TWh–was fast einemDrittel des gesamtenheutigenGasbedarfesDeutschlands entspricht. Damit wäre ein Großteil der aus Russland bezogenen Gasmenge substituierbar. Es ist daher zwingend notwendig, denAusbau der Erzeugungskapazitäten klimaneutraler Gase voranzutreiben. In Deutschlandmuss ein ambitionierterHochlauf vonBiomethanorganisiertwerden: Anzustreben ist ein Zielwert von rund 8 TWh/Jahr in den Startjahren. Dies bedeutet ein „Umswitchen“ der stromerzeugenden Biogasanlagen in Einspeiseanlagen. Hinzu kommt die heimische Produktion vonWasserstoff aus erneuerbaremStrom. Weiteres Standbein ist der Import klimaneutraler Gase. In Europa kann grüner Wasserstoff in großenMengen über die derzeit prognostizierten Bedarfe hinaus produziert werden. Zukünftigmuss bei der Struktur der Bezugs- und Erzeugungsländer aber stärker diversifiziert werden. In diesem Kontext ist es wichtig, neue Partnerschaften aufzubauen, etwa mit Spanien und den nordafrikanischen Staaten. Für Norddeutschland wird der Wind der Nordsee an Bedeutung gewinnen. DieNiederlande planenbereits Ausbau-Projekte, die keinen Strommehr an Land bringen, sondern mit Pipelines auf demMeer produziertenWasserstoff.Weiterhinbegrüßen wir denBau bzw. die Inbetriebnahme eigener LNG-Terminals auf deutschemStaatsgebiet, die in Zukunft auch für denUmschlag von klimafreundlichem Wasserstoff genutzt werden können. Wenngleich die Bundesrepublik mittelbar über bestehende LNG-Einspeisepunkte indenNiederlanden, Belgien und Nordfrankreich angebunden ist, wird hierdurch eine weitere Bezugsoption geschaffen. Auch eine hierzulande anzusiedelnde Pyrolysetechnik, die das in Deutschland angelandete LNGoder andere neue Erdgasimportmengen inWasserstoff umwandelt, ist mitzudenken, um unsere heimische Wertschöpfung zu stärken. All diesePotenzialegilt esnunzunutzenundschnellstmöglich verbindliche politischeVoraussetzungendafür zu entwickeln. Kontraproduktiv – auch im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland mit Blick auf die Sozialverträglichkeit und Versorgungssicherheit – wäre es, eine reine Elektrifizierung des Energiesektors anzustreben. Einemassive Reduktion von Gasanwendungen zugunsten von Strom ist technisch illusorisch und volkswirtschaftlich verfehlt – im Wärmemarkt und bei industriellen Prozessen wäre dies mit Blick auf die Systemstabilität auch ohnehin nicht umsetzbar. Die Dekarbonisierung der bestehenden Energieversorgung gelingt nur durch den prominenten Einsatz von klimaneutralen Gasen mit der Gasinfrastruktur als Schlüsselelement. Auf dieser Basis lassen sich die Klimaziele nicht nur zeitnah, sondernauchökologisch, ökonomisch, sozialverträglichund mit Berücksichtigung geostrategischer Aspekte erreichen. Ihr Gerald Linke 3 energie | wasser-praxis 04/2022

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