DVGW energie | wasser-praxis, Ausgabe 8/2022

terverarbeitung der Sole an Land sind nach aktuellem Stand von Technik und Abnahmemarkt mengenmäßig eingeschränkt und nicht wirtschaftlich. Die „Variante Offshore-Wasserstoffproduktion & Schifftransport“ wiederum vermeidet zwar die Interessenkonflikte um große Elektrolysestandorte an Land sowie die küstennahe Einleitung der Sole. Allerdings können durch Erweiterung oder den zusätzlichen Bau der notwendigen Hafen- und Entladeanlagen ebenfalls lokale Interessenkonf likte entstehen. Darüber hinaus belastet der Pendelverkehr mit großen Tankschiffen das bereits stark ausgelastete Verkehrsgebiet Deutsche Bucht und birgt das in den anderen Varianten nicht vorhandene Risiko von Störungen der Wasserstoffeinspeisung durch Unfälle auf See und Schiffshavarien. Der Bau einer Vielzahl von Tankschiffen ist noch komplexer als die Beschaffung der Ressourcen für die Kabel und erhöht damit die Beschaffungs- sowie die Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken (ESG-Risiken) entlang der Lieferkette. Schlussendlich emittieren Tankschiffe je nach Antriebsart Schall, CO2 und/oder andere Partikel, während Pipelines und Seekabel CO2-frei mit Strom aus den Windkraftanlagen sowie – imFall der Pipeline – auch ergänzend mit Wasserstoff betrieben werden können, im Betrieb emissionsfrei sind und bei Störungen imGegensatz zu einer Schiffshavarie typischerweise keine direkten Schäden für Dritte verursachen. Die Variante „Offshore-Wasserstoffproduktion & Pipelinetransport“ ist frei von diesen Risiken. Die Offshore-Einleitung der Sole hat aus Umweltsicht den Vorteil, dass die große, dynamische Wassermasse der Hohen See eine schnelle und wirksame Verdünnung gewährleistet und nicht zu lokal erhöhten Salzkonzentrationen imWasser oder zu Bodenversalzung von Flachwasserzonen führt. Zwar entstehen durch die Rammarbeiten für die Fundamente der Offshore-Installationen in der Bauphase erhöhte Schallemissionen, sie können aber mit bereits bestehenden und in der Praxis bewährten Systemen eingedämmt werden. Insgesamt zeigt sich die Variante „Offshore-Elektrolyse & Pipelinetransport“ für die Realisierung der angestrebten 10 GWWasserstoffproduktionsleistung samt Netzanbindung bis 2035 als zeiteffiziente, kostengünstigste und umwelt- wie auch genehmigungsfreundlichste der drei betrachteten Systemvarianten. Aus strategischer Sicht bietet diese Variante außerdem einen grundsätzlichen Vorteil bezüglich der für ein europäisches Net-Zero-System erforderlichen Größenordnungen an Energie und Wasserstoff. Die allein für die deutsche Energiewende benötigte Elektrolyseleistung geht weit über das für diese Studie gesetzte 10-GW-Ziel hinaus. Sie kann zu erheblichen Teilen ebenfalls imEinzugsbereich der Pipeline installiert werden, da allein das Gebiet um die Doggerbank Raum für deutlich über 100 GWWindkraftkapazität bietet, also allein bereits einen wesentlichen Teil der seitens der EU derzeit verfolgten 300 GW Gesamtkapazität für Offshore-Windkraft in der Nordsee aufnehmen kann. Wenn gleichzeitig z. B. aus politischen oder geostrategischen Gründen die Nutzung von Erdgas als Brückenbrennstoff und Quelle für CO2-armen blauen bzw. türkisen Wasserstoff gegenüber heutigen NetZero-Szenarien eingeschränkt würde, würde der Bedarf an grünen EnergieGroßmengen nochmals steigen. Gleichzeitig könnte sich der Preisabstand zwischen Grünstrom und grünem Wasserstoff einerseits sowie Graustrom, Erdgas und aus Erdgas hergestelltem Wasserstoff andererseits durch die dann erforderliche noch weitere Skalierung verringern. Die in der Studie zugrunde gelegte Pipeline kann bereits in der betrachteten Ausbaustufe zusätzliche Wasserstoffmengen transportieren, ohne die Leitung zu verändern. In den beiden anderen Varianten bedarf es bereits für geringe zusätzliche Energiemengen weiterer Seekabel bzw. Tankschiffe. Für signifikant erhöhte Erzeugungsmengen bedeuten Pipelines erheblich weniger Erweiterungsaufwand für das Transportsystem, bergen im Gegensatz zu hohen Zahlen paralleler Seekabel kaum Risiken von Flächennutzungskonflikten am Meeresgrund und würden an Land auf Gasnetze treffen, die die anfallenden Energiemengen ebenfalls mit nur wenigen Leitungen und geringstmöglichem Ausbaubedarf für die Netze an Land weiter transportieren können. Ein skalierter Ausbau der OffshoreWindkraft in der Nordsee über die Ausschließlichen Wirtschaftszonen der Nordsee-Anrainerstaaten Großbritannien, Niederlande, Deutschland, Dänemark und Norwegen hinweg und eine integrierte Nutzung dieser Kapazitäten durch die Anrainerstaaten bergen ein weltweit einzigartiges Potenzial für die bedarfsgerechte Bereitstellung von grünen Energie-Großmengen. Dem Ideal direkter Grünstromnutzung stehen der in der Studie analysierte strukturelle Vorteil von Pipelines für Energie-Großmengen, die strukturell begrenzte Energieübertragungsfähigkeit von Kabeln und der unabhängig davon bestehende, nur durch Moleküle realistisch zu deckende zwischentägliche bis saisonale Speicherbedarf für Energie-Großmengen gegenüber. Strom und Wasserstoff zeigen sich damit nicht als Wettbewerber, sondern als jeweils notwendige und nur gemeinsam hinreichende Komplemente einer CO2-neutralen Gesamtlösung. Nach dem Prinzip „so viel direkte Grünstromnutzung wie möglich, so viel Wasserstoff wie nötig“ können im Strom und Wasser- stoff zeigen sich nicht als Wettbewerber, sondern als jeweils notwendige und nur gemeinsam hinreichende Komplemente einer CO2-neutralen Gesamtlösung. 62 energie | wasser-praxis 08/2022 O R G A N I S AT I O N & M A N A G E M E N T

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