DVGW energie | wasser-praxis, Ausgabe 9/2022

Hinblick auf die Klimabilanz ein Schlag ins Kontor. Aber in jeder Krise liegt auch eine Chance: Wir sind gezwungen, die Primärenergie, die wir aus Russland erhalten haben, zu ersetzen. Dies können wir kurzfristig über LNG-Importe und Einsparpotenziale lösen. Aber diese Notwendigkeit treibt auch die Energiewende weiter an. Zahlreiche Projekte im Bereich der erneuerbaren Gase haben nochmal einen stärkeren Antrieb, einen Booster bekommen – allen gemein ist das Ziel, schnell zu sein, zügig umzustellen und denWasserstoffhochlauf zeitnah Realität werden zu lassen. Richtig ist aber auch: Bei der Produktion von grünem Wasserstoff stehen wir in Deutschland vor einem Kapazitätsproblem. Wir werden die Energiemenge, die wir benötigen, nicht allein durch heimische erneuerbare Energien erzeugen können. Wir müssen auch hier immer Wasserstoffimporte mitdenken. In der Schifffahrt beispielsweise ist in den letzten zehn Jahren verstärkt von traditionellen Treibstoffen wie Schiffsdiesel auf LNG umgestellt worden. Auch hier gab es das Henne-Ei-Problem, man brauchte Skalierungseffekte, höhere Volumina etc. Vor der gleichen Herausforderung stehen wir nun beimWasserstoff. Um einen Hochlauf hinzubekommen, brauche ich Volumen. So lobenswert die vielen kleinen Wasserstoffprojekte in Deutschland auch sind – es bringt nichts, wenn sich jeder einen Elektrolyseur auf den Hof stellt. Wir benötigen Menge und dies geht nur über Importe und die Verteilung über die Gasnetze. Wir gehen außerdemdavon aus, dass wir zunächst auch blauenWasserstoff importieren werden. Dies ist auch ein Teil der Lösung, denn: Das Ziel ist grün, aber der Weg dahin ist bunt. Redaktion: Worin sehen Sie die größte Herausforderung, um sowohl im Wärmemarkt als auch in der Industrie H2-ready zu werden? Munko: Unsere Studie zur Verfügbarkeit von Wasserstoff hat klar herausgearbeitet, dass Wasserstoff eben nicht der Champagner der Energiewende ist, sondern das Grundnahrungsmittel. Die Mengen werden also nicht das Problem sein. Wir als Gaswirtschaft müssen über den Hydrogen Backbone, über Initiativen wie H2vorOrt und die Gasnetzgebietstransformationspläne die Infrastruktur so aufstellen, dass wir den Wasserstoff zu den Kunden bringen können. Die größte Hürde imWärmemarkt derzeit ist die Regulatorik: Hier werden uns leider immer wieder – und aus meiner Sicht völlig unnötigerweise – Steine in denWeg gelegt. Wenn in der Politik oder auch in anderen Verbänden die gleiche Technologieoffenheit herrschen würde, wie ich sie beimDVGWerlebe, dann wären wir schon entscheidende Schritte weiter. Hier sollte der ein oder andere dringend aus seiner ideologischen Ecke kommen. Wir stehen auch vor der Aufgabe, der Gesellschaft die Fakten zu erläutern, um die es geht. Nehmen wir als Beispiel das Verhältnis von Stromverbrauch und Endenergieeinsatz. Viele Menschen haben Schwierigkeiten, das zu verstehen – was auch völlig nachvollziehbar ist. Ich verstehe es in diesem Zusammenhang als unsere Aufgabe, hier besser zu kommunizieren: In Deutschland verbrauchen wir jährlich rund 2.500 TWh Endenergie. Betrachtet man die Verteilung zwischen Elektronen und Molekülen, so fällt auf, dass nur ein Fünftel der verbrauchten Energie – also rund 500 TWh – aus der Steckdose kommt. Und nur rund die Hälfte davon – also 250 TWh – wird aus erneuerbaren Quellen erzeugt. ImUmkehrschluss bedeutet dies: Der größte Teil der in Deutschland verbrauchten Energie stammt aus Molekülen! Anders gesagt: Wenn wir uns die gesamte Endenergiemenge als einen Kuchen vorstellen, wird bisher nur ein recht kleines Stück klimaneutral erzeugt. Daher müssen wir die Versorgung mit klimaneutralen Molekülen schnell und im großen Stil voranbringen, damit nach und nach der gesamte Energiebedarf klimaschonend gedeckt werden kann. Wir haben also noch einen großen Teil der Dekarbonisierungsstrecke vor uns. Und wir müssen sie in den kommenden 23 Jahren zurücklegen, besser noch schneller. Es ist also Eile geboten! Redaktion: Abschlussfrage mit Potenzial für Spekulationen: Werden wir aus Ihrer Sicht irgendwann in puncto Energieversorgung wieder so etwas wie Normalität erreichen? Munko: Ich bin zuversichtlich – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass alle in Politik, Wirtschaft, Öffentlichkeit und Gesellschaft verstehen, dass es die Energiewende nicht zum Nulltarif geben wird. Wir müssen gemeinsam kooperativ und mit größtem Einsatz dafür sorgen, dass das Dreieck aus Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Kosten wieder ins Gleichgewicht kommt. Anders gesagt: Wir werden die sogenannte Normalität der Jahre 2020 oder 2021 nicht zurückbekommen. Ich glaube, dass wir uns zukünftig in einer neuen, dekarbonisierten Normalität einpendeln werden. Ich möchte Teil der Umsetzung sein, deswegen bin ich zum DVGW gekommen. Genau dies ist meiner Meinung nach unser Thema. Redaktion: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Munko! Die größte Hürde beimH2-Markthochlauf derzeit ist d die Regulatorik: Hier werden uns leider immer wieder – und aus meiner Sicht völlig unnötigerwweise – Steine in denWeg gelegt. 20 energie | wasser-praxis 09/2022 I N T E R V I E W

RkJQdWJsaXNoZXIy ODQwNjM=