DVGW energie | wasser-praxis, Ausgabe 9/2022

Redaktion: Wie stehen Sie zu den Vorschlägen einer Mindestbevorratung von Gas, analog zur staatlichen Ölreserve? Munko: Fakt ist: Wir haben uns lange Jahre einfach zu sicher gefühlt. Unter den neuen Voraussetzungen am Energiemarkt gibt es durchaus Ideen, wie wir uns in Deutschland im Kontext von Versorgungssicherheit und Klimaschutz aufstellen: Dazu zählt sowohl eine Diversifizierung der Beschaffung als auch eine Diversifizierung der Moleküle – also Biogas und Wasserstoff. Wir im DVGW denken schon lange nicht mehr nur an Erdgas. Der große Teil der DVGWForschungsprojekte beschäftigt sich mit Wasserstoff und erneuerbaren Gasen. Hier sind wir ein entscheidender Treiber dieser Entwicklung. Ergänzend hinzu kommen aber auch Sicherheitsaspekte wie die Bevorratung. Darauf zielt das Gasspeichergesetz mit den bekannten Füllstandsvorgaben ab. All diese Komponentenmüssen nicht nur mitgedacht, sondern miteinander verzahnt werden, das ist entscheidend. Redaktion: Um möglichst bald von russischem Erdgas unabhängig zu werden, werden in Deutschland Flüssiggasterminals gebaut. Wie schätzen Sie den derzeitigen LNG-Markt ein? Und gibt es genügend globale Kapazitäten, um ausreichende Mengen Flüssiggas zu importieren? Munko: Ich bin überzeugt davon, dass es genügend Kapazitäten gibt. Der LNG-Markt hat sich in den letzten zehn Jahren signifikant verändert, er ist spürbar dynamischer geworden. Während der Anfänge konnte man ein LNG-Geschäft mit einer virtuellen Pipeline vergleichen: Es wurden Verträge über 20 Jahre geschlossen, es gab ein Terminal A und ein Terminal B und es gab Schiffe, die gebaut wurden, um das LNG von Terminal A zu Terminal B zu transportieren. Das lief gut – auch, weil ein solches Geschäft die Ölpreisbindung beinhaltete. Im letzten Jahrzehnt hat sich diese Situation stark verändert. Ein großer Teil des LNGwird heute über den Spotmarkt mit deutlich kürzeren Vertragslaufzeiten angeboten. Hinsichtlich der weltweiten Produktionsmengen bin ich insofern zuversichtlich, als dass diese in den letzten Jahren nicht voll ausgelastet waren. Hier bestehen nicht nur Kapazitäten, die man hochfahren kann, sondern auch weitere, die sich in Bau befinden. Der LNG-Markt war und ist auch weiterhin ein wachsender Markt. Wir sprechen in diesem Zusammenhang über rund 20 Prozent an Produktionskapazitäten, die noch nicht ausgeschöpft wurden; genug LNG ist also vorhanden. Redaktion: Begibt man sich im Hinblick auf einen LNG-Import aus Katar bzw. weiteren MENA-Staaten nicht erneut in eine Abhängigkeit, die Schwierigkeiten mit sich bringt? Munko: Das sehe ich im LNG Markt deutlich differenzierter. Verglichenmit der Situation derzeit, begibt man sich viel eher aus einer Abhängigkeit in eine deutlich größere Diversifizierung. Klar, diese Diversifizierung beinhaltet auch schwierige Player, da stimme ich Ihnen zu. Aber wenn sich im Rahmen der internationalen Pipeline-gebundenen Gasversorgung, in der im Wesentlichen nur einige wenige große Akteure eine bedeutende Rolle spielen, einer dieser Versorger als schwarzes Schaf entpuppt, dann tut das nachmeiner Wahrnehmung deutlich mehr weh als im LNG-Markt, in dem 10 bis 15 Akteure auftreten. Man hat also eindeutig bessereMöglichkeiten, den Import auf eine breitere Basis zu stellen. Natürlich hat jede Handelsbeziehung auch eine politisch-ethische Komponente, die mitgedacht werden muss und soll. Unter anderemdeshalb setzenwir nicht ausschließlich auf LNG. Wir sehen LNG vielmehr als Brücke zu erneuerbaren Energien wie Wasserstoff. Das heißt also: Ich habe mit der Diversifizierung im LNG-Markt deutlich weniger Bauchschmerzen als mit der Festlegung auf eine fixe Pipeline von oder nach Russland. Redaktion: Wie bewerten Sie den derzeitigen Projektstand an den LNG-Standorten Wilhelmshaven und Brunsbüttel imHinblick auf eine Einsatzfähigkeit zum Jahresanfang 2023? Munko: Insgesamt wurden vier Schiffe gechartert, die auch ab sofort verfügbar sind – das sind schon mal gute Voraussetzungen. Für die Anbindung des FSRU-Terminals inWilhelmshaven werden aktuell die ersten Leitungskilometer verlegt. Die gute und enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Behörden undUnternehmenmuss Björn Munko (45) ist seit 1. April 2022 neuer Leiter Gastechnologien und Energiesysteme beim DVGW. Der Diplom-Ingenieur war vorher seit 2003 bei TGE Marine Gas Engineering beschäftigt, zuletzt in der Position als General Manager Sales & Business Development. Das Unternehmen hat sich auf die Lieferung von Gasanlagen für den Transport von Flüssiggas und Einsatz von Gasen als Schiffstreibstoff spezialisiert. ZUR PERSON 15 energie | wasser-praxis 09/2022

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