DVGW energie | wasser-praxis, Ausgabe 9/2022

lich. Diese befinden sich teilweise in städtischen Gebieten, die (auch) durch typische geschützte Kunden geprägt sind, z. B. die Ford Werke GmbH, einer der größten Erdgasverbraucher imNetzgebiet der RNG, im Stadtteil Köln-Merkenich. Somit wäre eine Abschaltung des gesamten Stadtteils, sofern diese überhaupt technisch zu bewerkstelligen ist, bei diesem (extrem gewählten) Beispiel nicht zielführend. Ein weiterer Erdgas-Letztverbraucher auf städtischem Gebiet in Köln ist die Heizkraftwerk Niehl GmbH, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der RheinEnergie AG, mit dem GuD-Kraftwerk Niehl 3. Dieses produziert – übrigens nicht sehr weit entfernt von der FordWerke GmbH – imKölner Norden große Mengen an Strom und Fernwärme, u. a. für die Kölner Innenstadt. Das GuD-Heizkraftwerk speist den Strom in das 380-kV-Höchstspannungsnetz der Amprion GmbH und in das 110-kVHochspannungsnetz der RNG ein. Die elektrische Leistung beträgt 450 MW und die Wärmeauskopplung hat eine Leistung von 265 MW. Würde es zu einer Einschränkung der Gasversorgung aufgrund einer Gasmangellage kommen, so würde das Heizkraftwerk bevorzugt in dem Maße mit Erdgas versorgt werden, wie es für die Fernwärmeversorgung geschützter Kunden der RheinEnergie AG notwendig ist. Die Gas-Verteilernetze sind druckgesteuert – das heißt, die vorgelagerten Netzbetreiber stellen das Gas mit dem vereinbarten Druck an der Übergabestation zur Verfügung und die Letztverbraucher entnehmen dem Netz die benötigte Menge, unabhängig vom Status (geschützt oder nicht-geschützt). Eine Reduzierung des Gasverbrauchs ist nur durch das manuelle Abregeln einzelner Verbraucher möglich, wenn geschützte Kunden in einem Stadtteil, z. B. ein Krankenhaus, nicht unterbrochen werden sollen. Eine selektive Vorgehensweise in einem bestimmten Stadtteil würde es erforderlichmachen, nicht-geschützte Kunden einzeln und händisch vomNetz zu nehmen, um das Versorgungsnetz als Ganzes mit den geschützten Kunden weiter versorgen zu können. Bei Kunden > 10 MW dürfte dies angesichts der geringen Anzahl leistbar sein, allerdings wird es eine erhebliche Anzahl nicht-geschützter Kunden mit niedrigerer Anschlussleistung geben. Wiederbelieferung und vorüber- gehende Abschaltung Wenn ein Gasnetz einmal gasfrei ist (leergelaufen), fallen bei allen Gasverbrauchsgeräten automatisch die stromlosen, vorgespannten Sicherheitsabsperrventile, sofern vorhanden, zu. Diese sind nur durch Fachpersonal (im Wiederbegasungsfalle) händischwieder zu öffnen [11], was sehr zeitintensiv ist. Alternativ könnte man überlegen, ein ganzes Gebiet/Stadtteil temporär und mit Vorankündigung stromfrei zu schalten. Dadurch würden alle Gasverbrauchseinrichtungen wie z. B. Heizungen ausgeschaltet und dementsprechend auch der Verbrauch reduziert. Der Vorteil einer solchen Maßnahme ist, dass alle Gasleitungen weiterhin unter Druck bleiben und eine Wiederaufnahme der Gasbelieferung ohne händische Aufsperrarbeitenmöglich ist. Dies entspricht jedoch nicht der Empfehlung des DVGW-Rundschreibens G 3/2022. Bei einer Stromabstellung muss zudem berücksichtigt werden, dass nicht nur die Gasverbrauchseinrichtungen ausgeschaltet werden, sondern alle elektrischen Verbrauchseinrichtungen vomNetz gehen. Das hieße, dass lokale Dialysegeräte, Labore etc. auch abgeschaltet werden. Eine temporäre Abschaltung eines ganzen Stadtteiles hätte also solch große, auch lebensgefährdende Nebenwirkungen, dass sie bei praktischer Abwägung der Folgen wohl kaum in Frage kommt. Druckreduzierung und Verbrauchseinschränkungen Laut DVGW spricht man von Niederdruck bei Druckverhältnissen bis 100 Millibar und von Mitteldruck bei Druckverhältnissen zwischen 100 und 1.000 Millibar (= 1 bar), Hochdruck beginnt ab 1 bar. Zum Vergleich: Autoreifen für Pkwwerden üblicherweisemit einem Druck von 2,5 bis 3,0 bar betrieben, während Reifen von Radprofis bei der Tour de France einen Druck von bis zu 7 bar aufweisen. Eine Absenkung des Niederdruckbereichs ist technisch kaum möglich, da dann der Gasfluss nicht mehr bei allen (topologischen?) Verhältnissen gewährleistet ist. Eine andere Idee ist die Untersagung eines Gasbezuges. Bei Kundenmit einer registrierten Lastgangmessung (RLM) wird der Gasbezug hinsichtlich Menge und Uhrzeit protokolliert und ist demzufolge nachvollziehbar (praktisches Vergleichsbeispiel: Fahrtenschreiber eines Lkw-Fahrers). Sollte ein RLMGaskunde Gas gezogen haben, obwohl ihm gegenüber eine Untersagungsverfügung vorlag (oder ggf. eine Allgemeinverfügung ergangen ist), so wäre dies also nachvollziehbar und der Kunde könnte im Nachhinein zur Rechenschaft gezogen werden. Bei SLP-Kunden ist eine Handlungsverfehlung schwieriger nachzuweisen, da bei diesen Kunden nur die Menge gemessen und die unterjährige Verbrauchsverteilung mittels eines standardisierten Verbrauchsverhaltens (sogenannte Sigmoid-Funktion) bei bestimmten Temperaturen unterstellt wird. Ganz pauschal kann aber folgende grobe Aussage getätigt werden: Hat eine SLP-Kundengruppe trotz einer amtlichen Gas-Bezugseinschränkung temperaturbereinigt keinen signifikant geringeren Gasbezug als in einer zurückliegenden Referenzperiode, so lässt sich vermuten, dass die Gruppe ihren Gasbezug nicht entsprechend der Anordnung eingeschränkt hat. Allein die Androhung gegenüber den RLM- und SLP-Kunden z. B. bei einer Allgemeinverfügung, dass das effektive Verbrauchsverhalten ex post kontrolliert werden könnte, kann zu signifikanten Einspareffekten führen. Es drängt sich der Vergleich mit einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen zur Einsparung vonOttomotor- und Dieselkraftstoffen auf eine Höchstgeschwin43 energie | wasser-praxis 09/2022

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