DVGW energie | wasser-praxis, Ausgabe 5/2022

Wasserstoff sowie die Nebenprodukte Sauerstoff und Wärme lokal bereitgestellt. Dabei ist, so auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen, die Standortwahl der Elektrolyseanlage entscheidend, um eine netzdienliche Interaktion mit dem Stromnetz zu gewährleisten. Deren dezentrale Platzierung innerhalb Deutschlands kann dazu beitragen, das Stromnetz zu entlasten und Engpässe zu verringern. Unswar es einAnliegen, dieDebatte um einen Wasserstoff-Markthochlauf, die sich stark auf große Projekte – z. B. auf Elektrolyseure im Bereich von bis zu mehreren 100 MW – fokussiert, auch auf kleinere Projekte zu lenken. Zudem errichten wir auch selbst dezentrale Elektrolyseure an geeigneten Standorten.Mit der Studiewolltenwir also auch verifizieren, inwieweit sich unsere eigenen Projekte auf ganz Deutschland übertragen lassen. Redaktion: Welche Rückschlüsse können denn jetzt für die inländische Produktion grünen Wasserstoffs gezogen werden? Dähling: Obwohl dezentrale und netzdienliche Elektrolyseuremeist eine eher geringe Leistung haben, tragen sie in Summe stark dazu bei, die von der Bundesregierung gesetzten Ziele für die heimische ProduktionvongrünemWasserstoff zu erreichen. Im Szenario mit 75 Prozent erneuerbaren Energien können in Deutschland bis zu 13,7 TWh grünerWasserstoff pro Jahrnetzdienlich erzeugtwerden.Das entspräche rundder Hälfte der Menge, die von der neuen Bundesregierung für 2030 angestrebt wird. ImSzenariomit 100Prozent Erneuerbaren sind es sogar bis zu 19 TWh jährlich. Die Abnehmer des so hergestellten grünen Wasserstoffs können regionale IndustriebetriebeoderH2-Tankstellenfür Schwerlastverkehr und ÖPNV sein. Redaktion: Welchen Nutzen hat eine netzdienlicheWasserstoff-Erzeugung für das Energiesystem und darüber hinaus? Dähling: In einem Satz zusammengefasst: Dezentrale Elektrolyseure verbessern die Energieausbeute aus Wind- und Solaranlagen, machen unser Energiesystem resilienter, sparen Netzausbaukosten und produzieren erhebliche Mengen an grünemWasserstoff. Unsere Studie zeigt, dass bei einer netzdienlichen Platzierung, Dimensionierung und einemnetzdienlichen Betrieb von Elektrolyseuren Netzengpässe und maximale Leitungsbelastungen abnehmen. Außerdem werden durch den Einsatz der netzdienlichen ElektrolyseureÜberspannungen reduziert, ohne Unterspannungen zu erhöhen. Diese Netzentlastungen verringern den künftigenNetzausbaubedarf. Aufgrund der netzdienlich platzierten und betriebenen Elektrolyseure können rund acht Prozent der nationalenNetzausbaukosten gespart werden. Das soll jetzt jedoch nicht heißen, dass wir uns nun vor allem auf den Bau von Elektrolyseurenstatt auf denNetzausbau beschränken sollten. Zusätzliche Netzkapazitäten benötigen wir weiterhin in großem Stil und mit mehr Tempo. Entscheidend ist jedoch, dasswirmit dezentralen Elektrolyseuren auch dezentrale Abnehmer versorgenkönnen. Ichdenke da an Anwendungen, die kurzfristig nicht aneine überregionaleWasserstoffinfrastruktur angeschlossen werden können. Ein dezentraler Elektrolyseur kannhier also auch eine Alternative zur aufwendigenLieferung vonWasserstoff in Tanks sein. Und durch diese Wasserstoffproduktion leisten diese Elektrolyseure natürlich auch einen Beitrag, um die Ziele derNationalenWasserstoffstrategie zu erreichen. Man schafft also insgesamt mehrere Synergieeffekte. Redaktion: Welche der von Ihnen erwähnten Anwendungen eignen sich für dezentral erzeugten Wasserstoff? Dähling: Hier kommen vor allemkleinere Industrieunternehmen in Betracht, beispielsweise aus der Glasherstellung. Der produzierteWasserstoff ist auch für den ÖPNV interessant – insbesondere dort, wo eine reine Elektrifizierung nur schwer umsetzbar ist. Ein weiterer spannender Anwendungsfall sind Kläranlagen: Viele dieser Anlagen bauen aktuell eine zusätzliche Reinigungsstufe auf, unddies kannmangutmit Elektrolyseuren kombinieren, um den ebenfalls anfallendenSauerstoff zunutzen.Generell ist es bei dezentralen Projekten in der Regel einfacher, die bei der Wasserstoffproduktion entstehenden Nebenprodukte zu nutzen, also neben dem Sauerstoff auch Abwärme. Letztere ist vor allem für Kommunen interessant, die ein Nah- und Fernwärmenetz betreiben. Redaktion: Welche Standorte sind geeignet für eine solche dezentrale Erzeugung? Und welche möglichen regionalen Unterschiede sollten berücksichtigt werden? Dähling: Generell eignen sich vor allem Regionen, die weniger dicht besiedelt sind und gleichzeitig bereits hohe Anteile an fluktuierenden erneuerbaren Energien aufweisen, beispielsweise in Norddeutschland. Großstädte hingegen fallen aufgrund hoher Lasten und einer geringen Anzahl von Erneuerbaren-Erzeugern letztlich aus. Nun steht natürlich außer Frage, dass die Energiewende nicht nur in Norddeutschland stattfinden soll, sondern in der gesamten Bundesrepublik. Daher könnenwir auch bereits Netzgebiete und Standorte nicht nur imNorden, sondern auch in anderen Teilen Deutschlands identifizieren. Schließlich sind auch sonnenreiche Standorte prinzipiell gut geeignet. Maßgeblich ist, wie schnell der Ausbau der erneuerbaren Energien vor Ort vorangeht. Das heißt: Um zu prüfen, welche Standorte sinnvoll sind, reicht es nicht, auf den Status quo zu schauen, sondern auch auf den zukünftigen Netzentwicklungsplan und den geplanten Erneuerbaren-Ausbau. Redaktion: Häufig ist ein solcher Ausbau jedoch auch mit Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung verbunden, etwa bei Windkraftanlagen. Fachleute sprechen in diesem Kontext von einer NIMBY-Mentalität („Not in my backyard“, deutsch: „Nicht in meinem Garten“). Inwieweit können die Ergebnisse der Studie dazu beitragen, diese NIMBY-Mentalität zu minimieren bzw. die Akzeptanz für solche Investitionen zu vergrößern? 78 energie | wasser-praxis 05/2022 I N T E R V I E W

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